Der Brexit ist da - und jetzt?

Der Brexit ist da - was sind die Folgen für die Märkte?

Allen Umfragen und Wettquoten zum Trotz - am Ende kam die Entscheidung der Briten, die Europäische Union verlassen zu wollen, doch unerwartet. Schaut man sich die Reaktionen vom Wochenende an, scheint die größte Überraschung bei den Briten selbst vorzuherrschen:

Ein wenig Druck aufbauen, um weitere Sonderwege und Vergünstigungen für das Königreich durchzusetzen – das wäre ja in Ordnung gewesen. Das erzielte knappe Votum für den Austritt sorgt jetzt allerdings besonders dort für Bestürzung. So wollte man es dann wohl doch nicht haben…

 

Politik muss Konsequenzen ziehen

Schon diskutiert man in Schottland über eine Abstimmung, in der über die Abspaltung von Großbritannien und für den Verbleib in der EU entschieden werden soll und in England sorgt eine Online-Petition für Aufruhr, die ein zweites Referendum – mit neuen Regeln – fordert.

 

Wenn die Landespolitik in Europa sich weiterhin Erfolge auf die eigene Fahne schreibt, gleichzeitig aber alle Probleme und Nachteile der EU in die Schuhe schiebt, muss man sich nicht wundern, wenn populistische und nationalistische Bewegungen und Parteien an Zuspruch gewinnen. Die mögliche Folge kann ein allmählicher Zerfall Europas sein, bei dem der Brexit nur einen ersten Schritt darstellt.

 

Wenn die Politiker den Warnschuss hören, jetzt aufwachen und reagieren, muss es aber nicht so weit kommen. Der große Teil der Bevölkerung verkraftet die Wahrheit und ist auch bereit, für ein starkes Europa gewisse Nachteile in einzelnen Bereichen in Kauf zu nehmen. Die Idee „Europa“ muss neu belebt werden – mit allen positiven Aspekten. Denn in einem geeinten Europa sollte es um mehr als Geld und freie Wirtschaftsbeziehungen gehen.

 

Bisherige Reaktion der Märkte

Die Entscheidung der Briten kam auch für die Finanzmärkte unerwartet. Nach Bekanntgabe des Ergebnisses gingen die Aktienmärkte sofort auf Tauchfahrt. Allerdings war der Einbruch weit weniger stark, als zu erwarten gewesen wäre. Die folgende Grafik verdeutlicht das:

 

Folgen des Brexits: Der Stoxx Europe 600 im Juni 2016

Zunächst sorgte die Unsicherheit - etwas das Finanzmärkte überhaupt nicht mögen - im Vorfeld der Abstimmung für fallende Kurse. Nachdem Umfragen und Quoten der Wettbüros allerdings rund eine Woche vor dem Referendum eine Mehrheit für den Verbleib in der EU sahen, setzte bereits eine Erholung (Hoffnung) ein. Am Freitag nach der unerwarteten Brexit-Entscheidung herrschte dann Klarheit. Der Index verlor lediglich die in den Tagen zuvor erzielten Zuwächse – mehr nicht.

 

War es das schon?

Ist das Ereignis damit schon abgehakt und in den Kursen eingepreist oder ist ein Crash auf Raten zu erwarten? Weder noch, denke ich. Zunächst einmal haben wir wieder eine Phase der Verunsicherung vor uns, denn viele Fragen bleiben unbeantwortet:

 

Wann stellen die Briten den Antrag, um aus der EU auszuscheiden? Die EU fordert jetzt eine schnelle Umsetzung, um Klarheit zu schaffen, während Premier Cameron diesen Schritt erst im Oktober sieht.

Erst dann können die zweijährigen Austrittsverhandlungen beginnen, deren Verlauf dann darüber entscheiden, wie eng Großbritannien zukünftig mit der EU verbunden bleibt.

 

Klar ist im Moment nur, dass etwas passiert. Wann und wie steht in den Sternen (auch bezüglich Schottland). Daher ist in den nächsten Wochen und Monaten durchaus mit stärker schwankenden Aktien-, Renten- und Devisenmärkten zu rechnen.

 

Die Notenbanken in Europa, aber auch dem Rest der Welt (USA, Japan, China) werden die weitere Entwicklung genau beobachten und sich bei Bedarf über notwendige Maßnahmen abstimmen.

 

Kann die Situation auch zu einem totalen Absturz der britischen, europäischen oder sogar weltweiten Finanzmärkte führen? Bei kurzfristiger Unsicherheit lohnt es sich immer, den Blick etwas zu lösen und die Langfristperspektive einzunehmen.

 

Was passiert wirtschaftlich auf lange Sicht?

Eine ähnliche Situation gab es bislang noch nicht, daher befahren wir unbekannte Gewässer. Klar ist aber, dass der Brexit nicht das Ende der Welt bedeutet. Die Menschen in Großbritannien und Europa werden weiterhin leben, d.h. essen, trinken und konsumieren. Europa und GB werden weiterhin Handel miteinander treiben – vielleicht mit mehr Bürokratie und höheren Kosten (doch daran ist am Ende niemand interessiert). Die Unternehmen in GB und Europa werden also weiterhin Aufträge erhalten und Geld verdienen.

 

Die größten wirtschaftlichen Nachteile wird wohl das Königreich selbst haben, da neue Investitionen aus dem Industrie- und Dienstleistungssektor zukünftig vielleicht eher im Euroraum erfolgen. Teile der Finanzwirtschaft werden ebenfalls aus London abziehen. Das alles wird die Briten Arbeitsplätze und Wachstum kosten.

 

Der Anteil Großbritanniens an der Weltwirtschaftsleistung beträgt aktuell rund 3,9 %. Geht man davon aus, dass auch das Wachstum in der EU leicht zurückgeht – die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft blieben dennoch überschaubar.

 

Fazit/Handlungsempfehlungen:

Die politische Dimension des Brexits ist gefährlicher als die wirtschaftliche. In den nächsten Wochen und Monaten ist aber aufgrund der anhaltenden Verunsicherung mit stärkeren Wertschwankungen an den Finanzmärkten zu rechnen. Ein Crash auf Raten ist allerdings nicht zu erwarten und auch um die Bonität Großbritanniens (mögliche Schuldenkrise) muss man nicht besorgt sein.

 

Übereilte Aktionen sind jetzt nicht angebracht, es gilt Ruhe zu bewahren. Sollten die Aktienkurse in den nächsten Wochen noch deutlich unter das aktuelle Niveau fallen, bieten sich gute Einstiegschancen. Denn europäische Aktien sind im Vergleich zu US-Werten schon jetzt günstiger bewertet und das Problem der nicht vorhandenen Anlagealternativen (Zinspapiere bringen nichts ein) besteht weiterhin. Die Schwäche des Pfunds kann auch für eine gezielte Beimischung britischer Werte genutzt werden. Mitte Juli beginnt die Berichtssaison britischer Unternehmen. Das wird die weitere Richtung der Märkte bestimmen. Bleiben die Gewinne stabil und trübt sich vor allem der Ausblick der Konzernlenker nicht erheblich ein, sollte das für Sicherheit und Stabilisierung sorgen.

 

Vielleicht ist die ganze Aufregung auch umsonst und die Briten leiten noch eine 180-Grad-Wende – den „Exit vom Brexit“ ein. Völlig ausgeschlossen erscheint auch das nicht zu sein.